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Von der Fabrik zum Kulturzentrum
Honigfabrik, 1979
<-- Das ist die Honigfabrik. Beziehungsweise war sie das, anno 1906 auf der Bauzeichnung des Architekten, der dies Gebäude im Auftrag der Firma Mohr aus Altona als Margarinefabrik entwarf. Ursprünglich gab es nur ein Haupthaus und die südlich angrenzende Werkstatt mit dem dahinter stehenden Schornstein. Der zweite Flügel kam 1912 dazu, im gleichen Jahr dann die großen Werkhallen am Kanal.
In dieser Gestalt war es eines der ersten Industriegebäude am Veringkanal, der 1894 vom gleichnamigen Bauunternehmen wie mit dem Lineal in den Marschboden hinein gegraben worden war. Heute wird die Honigfabrik als denkmalwürdig eingestuft, weil sie das letzte fast komplett erhaltene Fabrikensemble am Veringkanal ist. Fast noch wichtiger ist: seit 1979 gibt es hier Kultur in vielen Sorten.
Mit dem Bau des Veringkanals war klar, dass sich Wilhelmsburgs Westen zum Industriegebiet verwandeln sollte. Und bald rauchten an der Kanalstraße – so hieß die Industriestraße damals - überall die Schlote: Gegenüber lagen die Oleinwerke, eine Ölfabrik, und auf dem Gelände des heutigen Sanitasparks die Sanitas AG, die Wasch- und Toilettenbecken für Luxusliner herstellte. Daneben siedelten sich 1913 die „Asbest & Gummiwerke Merkel“ an, weiter südlich die Wilhelmsburger Zinnwerke mit Kupfer- und Zinnproduktion. Doch in der „Speisefettindustrie Elbe“ wurde - verglichen mit anderen Industrieunternehmen - ein vergleichsweise harmloses Produkt hergestellt. Unten im Erdgeschoss wurden die Fette gerührt und abgefüllt, darüber im 1.Stock schöpfte man im Labor neue Margarinesorten, und ganz oben saßen Geschäftsführer, Buchhaltung und die Sekretärinnen.
Schon in den 1920er Jahren gab es Konzentrationsprozesse und Fusionen in der Lebensmittelindustrie: die Holländer kamen, in Gestalt des Unilever-Konzerns. Auch die Margarinefabrik Mohr in Altona und die Firma Hartwig Franzen in Wilhelmsburg wurden geschluckt. Vor Beginn des 2. Weltkriegs übernahm ein Unternehmer namens Fritz Wetz den Betrieb und stellte die Produktion um auf Fertigung von medizinischen Ölen und Fetten. Erst nach Kriegsende zog die Honigfirma Gieseke ein, die der Fabrik ihren klangvollen Namen gab. Eine erste Suche der Geschichtswerkstatt nach ehemaligen Beschäftigten brachte uns 1989 einen Brief ins Haus, der in einer australischen Kleinstadt aufgegeben worden war. Auf dem Briefkopf prangte „Glenn Elms – Deutsches Wursthaus“, die Briefschreiberin hatte in den 50er Jahren im Labor der Honigfabrik gearbeitet und erinnerte sich, dass alle Bienen Wilhelmsburgs ständig um das Gebäude in der Industriestraße summten! Die Firma Gieseke zog zwar schon 1977 nach Bremen um, in direkte Nähe ihrer Honigimporteure. Doch noch heute erreichen uns manchmal Faxe oder Briefe, die uns Honig aus Übersee offerieren. Fast fällt es schwer diese Angebote abzulehnen.
Unter diesem Motto feierte die Honigfabrik im Sommer 1996. Rechnet man 18 Jahre zurück, landet man im Jahre 1978. In diesem legendären Gründungsjahr beschloss ein Haufen junger Leute, einen Ausweg aus dem kulturellen Niemandsland Wilhelmsburgs zu suchen. Der Haufen bestand aus verschiedenen Jugend- und Sportgruppen und hatte sich - mangels geeigneter Räume - schon seit längerem in einer Kellerwohnung am Vogelhüttendeich getroffen um Pläne zu schmieden. Die Zeichen der Zeit standen damals auf Aufbruch, die Jugendzentrumsbewegung war auf dem Höhepunkt. Doch die Wilhelmsburger Jugendlichen dachten nicht daran, einfach ein Haus zu besetzen. Sie gründeten erst mal einen Verein, in dem sogar Lehrer und Pastoren toleriert wurden, und suchten ein geeignetes Objekt. Nicht etwa nur für ein Jugendzentrum. Nein, es sollte schon eine Nummer größer sein, ein Kulturzentrum für alle Generationen. Da in Wilhelmsburg mittlerweile viele Industriegebäude leer standen, gab es sogar Auswahl. Am Veringkanal die alte Honigfabrik, die fast leer stand, die sollte es sein!
Im September 1979 war es dann soweit: in selbst renovierten Räumen im ersten Stock und in der ehemaligen Hausmeisterwohnung eröffnete die HONIGFABRIK – vorläufig. Mit Livekonzerten, einer Teestube und den so genannten Arbeitsgruppen, z.B. der Töpferei, dem Musik-Übungsraum und - natürlich - einer Frauengruppe. Bands mit klingenden Namen wie „Phlox“ und „Klärgrube West“ legten den Grundstein für eine neue Wilhelmsburger Musikszene, die Frauen den Grundstein für das erste Hamburger Frauenhaus. Doch dann erst begann ein mühsames Ringen um den versprochenen Umbau, dem ein Bürgerschaftsbeschluss vorausgehen musste und der sich noch bis 1982 hinzog. Selbstverwaltung wurde groß geschrieben, wie eine Einladung zur Mitgliederversammlung 1979 zeigt: „Es ist ca. ein Jahr her, seit wir in unserer Fabrik arbeiten können. Zumindest einen Teil der Honigfabrik konnten wir vom Grau befreien, einrichten und für alle nutzbar machen. Unsere eigene Kraft, Ungeduld, Arbeits-einsätze, ein Miteinander-Zentrum für Freizeit, Kultur, Beratung und Weiterbildung für den Malocherstadtteil Wilhelmsburg, sind dabei nach wie vor unser bestes Kapital gewesen. Der Arbeitseinsatz in der Nacht vor Programmbeginn (zur Erfüllung der behördlichen Auflagen) hat gezeigt, dass ein aktives, solidarisches Rangehen an Probleme uns weiterbringt. Aber ebenso müssen wir noch viele harte Probleme lösen, heute, 1980 und darüber hinaus. Also kommt nicht nur zur Mitgliederversammlung am 8.10.79 um 19 Uhr in die Honigfabrik, sondern immerzu, unentwegt zum Mitarbeiten, Mitentscheiden und Mitreden, bis wir die Honigfabrik insgesamt für alle erkämpft haben!“
Zufälligerweise ergab es sich zu dieser Zeit, dass die Kulturpolitik der Stadt Hamburg einen Schwenk machte und der Slogan „Kultur für alle!“ erfunden wurde. Das war ein völlig neues (sozialdemokratisches) Konzept: abseits von Opernhaus und Staats-theatern Kultur in die Stadtteile zu bringen, so dass jede(er) teilhaben und vor allem selbst aktiv werden konnte. Die Fabrik in Altona hatte kurz vorher ihre Pforten geöffnet, und so war die Richtung klar: neue Kultur in alten Gebäuden. Tatsächlich gelang es dem frisch gegründeten Verein „Kommunikationszentrum Wilhelmsburg e.V., HONIGFABRIK“ - meine Güte, was für ein komplizierter Name...- in den Genuss der neu aufgelegten staatlichen Fördermittel zu kommen.
Im Frühjahr 1983 konnte dann die ganze Fabrik in Besitz genommen werden, samt Werkstätten und den Hallen am Kanal. In einem NDR-Fernsehbeitrag zu einem der vielen Jubiläen, die die Honigfabrik schon hinter sich hat, bezeichnete die Redakteurin die GründerInnen der Honigfabrik als „bekennende Anarchisten“. Das ist sicher zu viel Ehre, denn natürlich überwiegt heute die praktische Arbeit, und nicht die umstürzlerischen Debatten von damals. „Wir sind volljährig!“, ein merkwürdiger Satz, wenn man bedenkt, dass auch die Honigfabrik ein spätes Kinder der 68er Rebellion ist. Leise Selbstironie schwingt mit, aber auch die Gewissheit, schon längst in der Gesellschaft angekommen zu sein. Aus der Perspektive der heute alten Generation kam 1996 zum 18. Geburtstag der Zuruf: „Nach Überwindung sämtlicher Kinderkrankheiten wuchs die Honigfabrik zur ansehnlichen Erwachsenen heran. Möge sie nie ins zahnlose Greisenalter kommen!“
"Hast du Durst, oder hast Du´s dick? Dann schieb dir deine Mütze ins Genick und komm in die Honigfabrik!“, mit diesem Stück handgemachter Musik lockten die ersten Aktivisten Publikum ins Haus. Anfangs belächelt oder gefürchtet als Trutzburg der linken Spinner und der rebellierenden Jugend, war die Honigfabrik jahrelang fast der einzige Treffpunkt für die unterschiedlichen Szenen. Die Honigfabrik an der Industriestraße, am Rande des Wohnviertels, entwickelte sich zum Kulturzentrum. Das Musikprogramm lockte immer auch Publikum aus Hamburg und dem weiteren Umland an und wurde mehrfach ausgezeichnet.
Aber nicht nur das Programm brachte frischen Wind in die Wilhelmsburger Kulturszene. Auch in Sachen Jugendbildung war die Honigfabrik ihrer Zeit voraus. Die im Haus ansässige Freie Schule Hamburg stellte mit ihrem Modellversuch die herkömmliche Schule auf den Kopf: freiwilliges Lernen in kleinen Gruppen, Projekte, in denen wirklich fürs Leben gelernt wird. Der schuleigene Buffet-Service hat sich mittlerweile etabliert. Damals der absolute Sonderfall, sind diese Konzepte im Rahmen von Bildungs-offensive und Schulreform heute sehr gefragt.
Doch auch die Honigfabrik war nie eine Insel der Seligen auf der Elbinsel, alle Veränderungen des Umfelds wirkten auch nach innen. Zum Beispiel war der Wegzug vieler Bewohner deutlich zu spüren, wirkte sich auch auf Besucherzahlen aus. Das ambitionierte Theater- und Kabarettprogramm – Die Drei Tornados und Mathias Beltz traten auf – musste mangels Zuschauern eingestellt werden. Dafür profilierte sich das Musikangebot.
In den gut ausgebauten Werkstätten etablierten wir zu Beginn der 90er Jahre Qualifizierungs- und Ausbildungsprojekte, um Jugendlichen des Stadtteils Perspektiven zu bieten. Noch 1996 gab es große weiterführende Ideen: „Warum kann man nicht z. B. Solardächer auf Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden in unseren Werkstätten realisieren? Oder die Berufsaktionstage für Mädchen, die einmal jährlich in der Honigfabrik stattfinden, ausbauen. Der Gesichtspunkt muss bleiben: wie nützlich sind diese Werkstätten für die Menschen, die drum herum wohnen? Und wie können wir aus diesen Ideen Projekte machen, an denen sich Menschen qualifizieren können?“
Soweit kam es leider nicht, denn die Bundesanstalt für Arbeit, die diese ABM-Projekte förderte, änderte ihre Schwerpunkte hin zum Dienstleistungsbereich; gewerblich-technische Qualifizierung war nicht mehr gefragt. Nun suchen wir wieder neue Wege, die Werkstätten zu nutzen und neue Ateliers in Kooperation mit Schulen für kreative Angebote bereitzustellen.
Bürgerbeteiligung war ab 1997 das zentrale Thema in Wilhelmsburg – wir waren dabei. Mitarbeit im Beirat für Stadtteilentwicklung, in Arbeitsgruppen, auf Veranstaltungen. In der Honigfabrik entstanden neue Ideen für Kulturinitiativen im Stadtteil: endlich wieder Kino in Wilhelmsburg, und das Kunstprojekt „Lädenleuchten" wurde hier angeschoben. Im Kinderbereich gab es neue Formen der Kulturarbeit: die Sommerakademien in – wie der Name schon sagt – den Sommerferien. Auch die Geschichtswerkstatt ging neue Wege: Jugend-Theaterprojekte in Kooperation mit dem Gymnasium KIWI, eine Austausch-Reise nach New York. Gleich zweimal wurden diese Projekte mit Preisen ausgezeichnet: Stadtteil-Kulturpreis 2005 und die Hamburger Tulpe 2007.
Dies alles in einem Gebäude, das innen den Charme eines Jugendzentrums der 1970er Jahre ausstrahlte. Das war einfach nicht mehr zeitgemäß. Zwei Umstände kamen unserem Wunsch nach Erneuerung entgegen: der „Sprung über die Elbe“ und das Sanierungsverfahren, in dessen Rahmen die Honigfabrik nun ihre Gestalt und ihr Innenleben modernisierte, finanziert mit Mitteln der BSU. 2011 kamen dann die neuen Ateliers auf dem Hof dazu: Musiklabor, Malerei, Bildhauerei und ein Pflanzenatelier stehen bereit für Nutzer, die sich jeweils für mindestens 2 Jahre auf einen Arbeitsplatz dort bewerben. Im Gegenzug sollen sie Angebote für Kinder und Erwachsene aus dem Stadtteil machen.
Die alte Honigfabrik ist heute eine gelungene Synthese aus historischer Bausubstanz und spannender Architektur, am besten sichtbar an unserem neuen Leuchtturm.... Aber seht selbst, wir freuen uns auf viele neugierige Besucher.
Honigfabrik, 2018
Die Organisationsformen, in denen wir heute arbeiten, sind:
Wer das erste Mal auf und um das Gelände der Honigfabrik geht, sieht:
Wasser und Kutter. Die Honigfabrik liegt am Ende des Veringkanals.
Mehrere Schuten haben hier einen Liegeplatz, sind jedoch mit dem Festland verbunden.
Die Schuten werden auf unterschiedliche Weise genutzt. Auf der roten Schute Juliane der FSG Freie Schule für Gestaltung findet beispielsweise von Montags bis Freitags Unterricht im Grafikdesign statt.
Wer eigene Projektideen aus dem Kultur- und Kunstbereich oder aus anderen Bereichen hat die er / sie umsetzen will, spreche uns gerne an.
Im Rahmen unserer Möglichkeiten schauen wir was geht.
In der Honigfabrik können Raume und eine mobile Bühne angemietet werden.
Produzieren und verkaufen, handeln und tauschen
Die Honigfabrik auf den sozialen Medien